Toxische Positivität

Toxische Positivität – Wenn Optimismus und positives Denken giftig werden

Wer eine positive Lebenseinstellung hat, erholt sich schneller von Krisen, wird seltener depressiv, ist glücklicher und lebt länger. Dabei ist es äußerst förderlich, sich optimistisch dem Leben gegenüber zu verhalten und vor allem positive Gedanken zuzulassen. Wenn allerdings unangenehmen Gefühlen so gar kein Platz mehr gegeben wird, kann Positivität sehr toxisch werden. Wo ist also dir Grenze zwischen Positiver Einstellung, Optimismus und toxischer Positivität?

Eine positive Einstellung zum Leben zu haben, ist eine der Voraussetzungen, um ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Es geht um Optimismus, positives Denken und auch ein gewisser Teil Glauben. Aber auch hier heißt es: Was übertrieben wird, wird bald zum Gift.

So ist es leider auch mit der Positivität im Leben. Man kann nicht immer und alles durch eine rosarote Brille ansehen. Es funktioniert nunmal nicht sich etwas beim „Universum zu wünschen“ und sich darauf auszuruhen, dass sicherlich alles immer wieder gut wird.

„Denk positiv!“, „Kopf hoch!“, „Good vibes only!“: Im Alltag wird uns oft suggeriert, Glück sei lediglich eine Frage der Einstellung. Jeder Rückschlag soll als Herausforderung, jede Krise als Chance begriffen werden, um einem negativen Mindset bloß keinen Platz zu lassen. Viele Menschen leiden allerdings darunter, diesen Anspruch einer krampfhaften Zuversicht nicht erfüllen zu können – und genau das ist heute als die toxische Positivität zu sehen.

Dass Optimismus schlecht sein soll, klingt erst einmal wenig intuitiv und sinnvoll. Und in der Tat, darauf deuten zahlreiche Studien hin und das haben wir auch im Glücksmagazin immer und immer wieder gesehen, tut uns positives Denken grundsätzlich gut. So ist eine positive Grundhaltung zum Beispiel mit mehr Zufriedenheit, weniger Herzerkrankungen und einer insgesamt längeren Lebenserwartung verbunden.

Im Grunde ist es durchaus sinnvoll und auch wichtig, die Welt ein wenig rosarot zu sehen. Denn Menschen, die nicht depressiv sind, sehen die Dinge eher positiv verzerrt. Das hilft uns dabei, nicht in Pessimismus zu verfallen und einen hoffnungsvollem Blick auf das Leben zu bewahren. 

Zu viel Optimismus – Unterdrückung der negativen Seiten

Es gibt aber auch Situationen, in denen eine positive Einstellung tatsächlich mehr schaden als nutzen kann. Etwa, wenn dadurch negative Emotionen unterdrückt werden. Dass das Beiseiteschieben von schlechten Gefühlen keine gute Taktik ist, um seine Emotionen zu regulieren, fand die amerikanische Forscherin Laura Campbell-Sills schon im Jahr 2006 heraus. Gemeinsam mit ihrem Team zeigte sie 60 Versuchspersonen mit einer Angst- oder affektiven Störung einen Film, der üblicherweise negative Emotionen bei den Zuschauern hervorruft. Die eine Hälfte der Teilnehmenden bekam die Anweisung, ihre Emotionen zu unterdrücken; die andere Hälfte sollte sie einfach akzeptieren.

Vor, während und nach der Vorstellung maßen die Forscher das subjektive Stressempfinden sowie verschiedene körperliche Parameter der Testpersonen. Obwohl sich beide Gruppen während des Films ähnlich stark gestresst fühlten, zeigte die Akzeptanzgruppe im Anschluss weniger negative Gefühle, außerdem hatte sie eine niedrigere Herzfrequenz. Negative Emotionen zu unterdrücken heißt also nicht, dass man sie zwangsläufig weniger spürt, schlussfolgern die Wissenschaftler. Vielmehr werden sie, wie weitere Forschung offenbarte, dadurch womöglich nur noch belastender.

Glück besonders wertzuschätzen, scheint manchmal nicht mehr, sondern weniger glücklich zu machen

Ebenso nachteilig kann es sich auswirken, gute Laune gewissermaßen auf ein Podest zu heben. Das zeigte 2011 eine Arbeit eines Forschungsteams um die Wissenschaftlerin Iris Mauss: Probandinnen, die angewiesen wurden, Glück als besonders wichtig zu betrachten, erlebten Glücksgefühle anschließend weniger intensiv als eine Kontrollgruppe. Der Effekt kam vermutlich dadurch zu Stande, dass die Teilnehmerinnen enttäuscht von ihren eigenen Gefühlen waren. Ein Paradox, folgerte die Forschungsgruppe: Glück besonders wertzuschätzen, scheint manchmal nicht mehr, sondern weniger glücklich zu machen. 2014 entdeckten Wissenschaftler sogar einen Zusammenhang zwischen dem ständigen Streben nach Glück und Depressionen. Und auch aktuelle Forschung zeigt: Fortwährend die Relevanz des Glücklichseins zu betonen, führt zu Grübeln und Frustration, wenn man dem eigenen Anspruch nicht gerecht werden kann.

Negative Gefühle unerwünscht – Sie sind nicht Instagram tauglich

Meist kommt der Druck, die Dinge positiv zu sehen, nicht von innen, sondern von außen – aus sozialen Netzwerken oder Gesprächen mit Freunden oderr Familie. Immer wieder signalisiert zu bekommen, dass Missmut und Ärger keinen Platz haben, verstärkt negative Gefühle allerdings eher, als sie verschwinden zu lassen

Dieser Anspruch, jedem Rückschlag, jeder negativen Erfahrung oder Empfindung doch noch einen positiven Dreh zu geben, war für viele Menschen gerade in den letzten Jahren der Pandemie besonders präsent. Während man sich etwa um Kinderbetreuung und Existenz sorgte, stieß man in den sozialen Netzwerken immer wieder auf Beiträge, die klar vermittelten wollten: „Die Krise ist deine Chance!“ 

Vielleicht kennst du auch genau solche Situationen und Momente, in denen du einfach komplett fertig bist, weil dir Arbeit, Familie, Privatleben und Verpflichtungen zu viel werden. Wenn dann jemand kommt und dir sagt, dass du doch einfach dankbar sein sollst, dass es dir und allen gut geht, dann fühlt man sich nicht motiviert oder aufgebaut, sondern eher belächelt und nicht ernst genommen. Jetzt diese negative Situation und die damit einhergehenden Emotionen zu unterdrücken und zwanghaft glücklich sein zu wollen, macht nur eins: Unglücklich.

Es liegt nunmal nicht immer alles am Mindset. Es ist normal und menschlich, auch mal mit den Nerven am Ende zu sein. Und gerade dann, wenn man in seinem Umfeld dafür „bekannt ist“, dass man viel lacht und gut drauf ist, heißt das nicht, dass man sich keine negativen Momente oder auch mal schlechte Laune erlauben darf. 

Der World-Happiness-Index und der Druck glücklich sein zu müssen

Wie eng der gesellschaftliche Anspruch, glücklich zu sein, mit dem Wohlbefinden verknüpft ist, zeigt eine Untersuchung des Psychologen Egon Dejonckheere. Der Niederländer befragte im Jahr 2022 gemeinsam mit mehr als 40 Kolleginnen und Kollegen 7443 Personen aus 40 Ländern und verglich diese Werte mit dem »World Happiness Index« der jeweiligen Länder.

Dabei entdeckte er, dass der schädliche Einfluss erzwungener Positivität offenbar vom gesellschaftlichen Klima abhängt: Vor allem in Ländern mit hohem Glücksindex war der empfundene Druck, möglichst zufrieden zu sein, mit einem schlechteren Wohlbefinden assoziiert. Die Autoren schließen daraus, dass sogar ein hohes nationales Glücksniveau schaden kann, wenn es den Mitgliedern einer Gesellschaft den Eindruck vermittelt, negative Gefühle seien nicht erwünscht.

Am 20.03.2023 ist der „World Happiness Day“, an dem auch wieder der neue World Happiness Report veröffentlicht wird. Dieser Report rankt jedes Jahr die Länder der Welt nach ihrem „Glücksindex“, der sich aus unterschiedlichen Kategorien zusammensetzt. Infos und Auswertungen des neuen Reports für 2023 gibt es in der Ausgabe 04/2023 zu lesen. Schau dir dazu auch gern die Ausgabe 01/2022 an:

Happiness around the World – Ein Blick in den World Happiness Report 2022 und was wir daraus für unseren Alltag mitnehmen können

Finnland gehört zu diesen „glücklichen Ländern“ und wie ich schon in vielen anderen Artikeln immer wieder dargestellt habe, sind es die Finnen selbst, die diese Ergebnisse meist nicht ganz nachvollziehen können. 

Krisenzeiten und Happiness – Welche Emotionen sind „erlaubt“

Auch zu Krisenzeiten, wenn wir mit einem gewissen Weltschmerz Nachrichten und aktuelle Situationen verfolgen, stellen wir uns selbst immer wieder die Frage: Darf ich glücklich sein, jetzt, wo es so vielen Menschen so schlecht geht? JA, das darfst du!

Es gibt da aber auch die andere Seite in dieser Situation. Vielleicht kennst du es auch, dass du bei dem Gedanken an die ganzen schlimmen Dinge in der Welt ein schlechtes Gewissen bekommst, weil du gerade unglücklich bist. Weil es vielleicht ein eher „banales“ Problem gibt. Auch hier: Deine Gefühle sind IMMER erlaubt!!! Egal ob positiv oder negativ. Denn nur, weil es anderen Menschen (anscheinend) schlechter geht als dir selbst, bedeutet das nicht, dass du und deine Gefühle es nicht Wert sind sie zu (er)leben.

Du siehst, sowohl von außen, als auch von uns selbst aus gibt es Momente, die sehr toxisch werden können. Und auch ich habe viele Sachen unbewusst gesagt oder getan, die toxischer nicht hätten sein können. Sätze wie „Stell dich nicht so an“ oder „Sieh es doch mal positiv“ sind nur einige Beispiele. Denn wir wissen nunmal nicht, wie es in unserem Gegenüber aussieht. Und hier ist es besonders wichtig, dass wir uns auch trauen zu sagen, wenn wir uns falsch verstanden oder behandelt fühlen. Wenn wieder einmal jemand sagt: „Alles wird gut, sieh es doch als Chance“ sollten wir eher in den Austausch gehen, als es einfach so hinzunehmen und uns von dieser anderen Sicht beeinflussen zu lassen.

Von der toxischen zur gesunden Positivität

Doch wie gelingt es, einen Mittelweg zwischen Pessimismus und toxischer Positivität zu finden? Die Lösung: Gesunder Optimisums.

Gesunder Optimismus zeichnet sich nicht dadurch aus, negative Gefühle beiseitezuschieben, sondern dadurch, sich die Hoffnung auf ein gutes Ende zu bewahren. Optimisten erkennen zwar, dass etwas negativ ist, aber sie haben die Hoffnung, dass es positiv ausgeht, ohne das positive Ende als Pflicht anzusehen.

Eine bewährte Strategie aus der Psychotherapie, um mit Unangenehmem umzugehen, ist das Reframing – das Neuinterpretieren negativer Gefühle. Unangenehme Emotionen werden dabei aus einem neuen Blickwinkel betrachtet, ohne sie zu unterdrücken, denn das würde kognitive Ressourcen kosten und wäre deshalb belastend. Andere wirksame Methoden aus der Achtsamkeitsforschung beruhen darauf, negative Emotionen anzunehmen und erst einmal zu akzeptieren. In manchen Fällen lohnt es sich außerdem, unangenehme Gefühle genauer zu betrachten – so kann Angst etwa vor Gefahren warnen und Ärger Grenzüberschreitungen signalisieren. 

Ab und an lässt sich negatives Denken sogar gezielt als Strategie einsetzen. Vor Herausforderungen kann es etwa hilfreich sein, sich genau zu überlegen, was schiefgehen könnte. Mit diesen Überlegungen lassen sich dann konkrete Pläne entwickeln und man geht vorbereitet in Situationen hinein. Gerade bei diffusen Ängsten hilft es häufig, eine Situation einmal bewusst mit negativem Ausgang durchzudenken, denn konkrete Folgen sind oft weniger beängstigend als schwammige Befürchtungen. Denn wer weiß, was schlimmstenfalls passieren kann, kann sich auch mit dieser Situation beschäftigen und vertraut machen.

Positive Psychologie und toxische Positivität

Wie sieht es denn eigentlich mit all den Ratschlägen und Tipps rund um das Thema Positive Psychologie aus? Ist all das und die Studien und Forschungen der Glücksforschung denn nicht auch toxische Positivität?

Hier kann ich ganz klar sagen: Es sind zwei komplett verschiedenen Dinge!

Wenn ich meine Recherchen für das Magazin starte und ich Suchmaschinen wie Google oder auch Plattformen wie Pinterest durchforste, dann lande ich immer wieder auf Seiten und in Artikeln, die von toxischer Positivität durchzogen sind. Kennst du diese Pins auf Pinterest mit den Headlines: „Mit diesen Tipps zu mehr Glück: Positives Denken lernen“ oder „Nie mehr negative Gedanken – Wie du dir dein Glück beim Universum wünsche kannst“.

Da könnte ich wirklich weinen. Denn all diese Inhalte werden unter dem Deckmantel der Positiven Psychologie verkauft. Und dabei haben sie NICHTS damit zu tun, Es werden zwar immer wieder Studien der Glücksforschung aufgezeigt, aber in einem komplett falschen Zusammenhang gebracht. 

Sogenannte „Life-Coaches“ wollen uns dann in Online-Kursen das glückliche Leben vermitteln und dabei zeigen, wie wir mit positivem Denken unser Leben verschönern können. Dabei ist es viel wichtiger zu erkennen, wie wir mit negativen Momenten umgehen können, ohne unsere Emotionen zu unterdrücken.

Die Positive Psychologie beschäftigt sich – im Gegensatz zur klinischen Psychologie – nicht mit Krankheits- und Heilungsprozessen der Psyche, sondern mit den Grundlagen und Bedingungen des guten Lebens. Es geht also darum, was Menschen, Organisationen und Gesellschaften dazu befähigt, sich bestmöglich zu entwickeln. Das Phänomen der toxischen Positivität hat im Grunde auch was mit falsch verstandener Positiver Psychologie zu tun. Denn es ist wohl einer der größten Mythen ever: Je mehr Positives, desto besser. Das sagt die Positive Psychologie nämlich nicht aus. Sie geht eher davon aus, dass Menschen neben den positiven auch negative Gefühle zulassen sollten. Es geht um Resilienz und Methoden und Möglichkeiten, wie mit diesen negativen Momenten verfahren werden kann, um zurück in den glücklichen Zustand der Zufriedenheit zu kommen. Achtsam durchs Leben zu gehen ist dabei eines der größten Ziele der Positiven Psychologie, um Emotionen zu spüren und zulassen zu können.

Wird negativen Gefühlen kein Raum mehr gelassen und sich nur noch auf das Gute fokussiert, vergiften wir sozusagen nach und nach unser Leben selbst. Wenn man alles, was negativ ist, verdrängt, wird man taub gegenüber seinen Emotionen – auch gegenüber den positiven. Weil wir ein Stück von uns selbst, von unserem tatsächlichen Empfinden abschneiden. 

FAZIT:

Die Recherche zu diesem Thema war wirklich lang und ich konnte unglaublich viel dazu finden. Und ich war und bin immer noch etwas geschockt darüber, wie oft ich selbst toxische Positivität verstreut oder auch in mir selbst ausgelöst habe. Und ganz bestimmt fallen auch dir Momente ein, in denen auch du toxisch reagiert haben könntest.

Dabei war es ganz sicher nie böse gemeint und mit einer guten Intention bestückt. Denn wir wollen im Grunde unserem Gegenüber in der Regel nur helfen und ihnen Wege aufzeigen. Allerdings sind es UNSERE Wege und unsere Sicht der Dinge und viel zu oft blenden wir die negativen Dinge aus um uns selbst zu schützen. Aber wenn wir diese negativen Emotionen des anderen ausblenden, nimmt man den anderen nicht als Person wahr. Man akzeptiert ihn nicht mit der vollen Gefühlsskala, sondern drängt ihn dahin, selbst permanent ‚gut drauf‘ zu sein. Eine tatsächliche Verbundenheit, die mit kompletter Akzeptanz und Annahme des anderen Menschen einhergeht, ist so überhaupt nicht möglich.

Sich in andere Menschen besser hineinzuversetzen und darüber nachzudenken, das ist eine Aufgabe, die ich mir ab sofort mit auf den Weg nehme. Nicht nur für mein Umfeld, sondern auch für mich. Um zu erkennen, wann toxische Positivität mich um meine eigenen negativen Emotionen bringen will – Egal ob von außen oder von mir selbst.

Aber schlussendlich: Ob positiv oder negativ, am wichtigsten ist es, dass sich die eigenen Gefühle richtig anfühlen. Ganz gleich, was das eigene Umfeld oder die Gesellschaft davon hält.

Im digitalen Magazin findest du eine kleine Gegenüberstellung von Aussagen. Was ist toxische Positivität und was wirklich wahrhafter und gesunder Optimismus?

toxische Positivität

Ausgabe 03/2023 Toxische Positivität

Toxische Positivität

Hier kommst du zur gesamten Ausgabe und allen Inhalten des Glücksmagazins.

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