Finnland unglücklich im Glück

Finnland und sein Glück – Die Schattenseiten des glücklichsten Landes der Welt

Finnland und sein Glück – Das siebte Jahr in Folge heißt es nun: Finnland ist das „Glücklichste Land der Welt“. Aber es ist nicht immer alles Gold was glänzt, daher wird es hier jetzt etwas kritischer als sonst. Denn neben all den positiven Dingen und tollen Voraussetzungen für ein glückliches Leben gibt es auch im hohen Norden einige Schattenseiten und Problematiken. Wenn dann noch der Druck hinzukommt, dass man doch jetzt ganz offiziell als happy gilt, kann das auch negative Gefühle und Missempfindungen auslösen. Blicken wir also auch einmal auf ein paar Nachteile und negative Dinge im Land der tausend Seen.

Seit mittlerweile unfassbaren 7 Jahren in Folge, beginnend 2018, hat der World Happiness Report Finnland als das glücklichste Land der Welt gekürt. Denn auch in diesem Jahr ist der erste Platz für die Finnen rausgesprungen. Direkt dahinter sind Dänemark, Island und Schweden.

Die Umfragen und Forschungen zu diesem internationalen Glücks-Ranking werden immer ausführlicher und mit vielen neuen Daten gefüttert. Standen zu Beginn noch viele sehr theoretische Zahlen im Vordergrund, geht es immer weiter Richtung Emotionen, Wohlbefinden und eben auch mentale Gesundheit.

Trotzdem gibt es oft auch berechtigte Kritik am World Happiness Report und eben auch dem Ranking. Und auch die Finnen selbst können meist ihre Platzierung nicht ganz fassen und verstehen.

Das Glück und ihre Unglücklichen

Im Finnischen gibt es sogar ein Wort für „Lebenszufriedenheit“: Onni. Und der dänische Hygge-Lebensstil gewinnt stetig mehr an Bekanntheit. Nicht zuletzt auch wegen dem immer wieder guten Abschneiden im jährlichem Glücksranking.

Was auf den ersten Blick durchaus erstrebenswert erscheint und da und dort vielleicht sogar Neid erzeugt, birgt für einige aber auch Schattenseiten: In einer der glücklichsten Nationen der Welt zu leben hat durchaus seinen Preis. Wie ein Team um Egon Dejonckheere von der Katholischen Universität Löwen in Belgien nun im Fachjournal „Scientific Reports“ berichtet, erzeugt das Leben in Ländern mit dem höchsten nationalen Glücksempfinden einen gesellschaftlichen Druck, dem nicht alle gewachsen sind. In einem sozialen Umfeld, in dem Fröhlichkeit und Glück einen so hohen Stellenwert haben, werden negative Gefühle, Niedergeschlagenheit und üble Laune nämlich häufiger als persönliches Versagen empfunden.

Wo Lebensglück zur allseits erwarteten Norm erhoben wird, haben es die weniger Glücklichen im Durchschnitt schwerer

Für ihre Studie haben die Forschenden 7.443 Menschen aus 40 Ländern bezüglich ihres emotionalen Wohlbefindens, ihrer Lebenszufriedenheit und allfälliger psychischer Beschwerden befragt. Dem stellten sie den von den Probandinnen und Probanden wahrgenommenen sozialen Druck, sich glücklich zu fühlen, gegenüber. Das Ergebnis bestätigte bisherige Untersuchungen:

Menschen, die subjektiv unter dem Druck stehen, möglichst glücklich zu wirken, neigen signifikant häufiger zu Defiziten in ihrer psychischen Gesundheit. Mit anderen Worten: In den „glücklichsten Ländern“ der Welt erleben viele Menschen, die beim allgemeinen „Happy-Sein“ nicht mitmachen, eine deutlich geringere Zufriedenheit mit ihrem Leben.

Das Ergebnis sagt nicht, dass Menschen in Ländern, die im Glücksranking ganz weit oben stehen, im Durchschnitt nicht glücklicher sind als in anderen Ländern – möglicherweise sind sie das tatsächlich. Es bedeutet jedoch, dass diejenigen Menschen in den entsprechenden Ländern, die ohnehin schon Mühe haben, ihren Kopf im Alltag hochzuhalten, sich wegen der allgemeinen „Happiness“ im Schnitt noch schlechter fühlen könnten.

Was also tun? Dejonckheere und sein Team plädieren dafür zu überdenken, wie nationales Befinden gemessen wird. Immerhin, so die Forschenden, gehe es im Leben nicht allein um positive Emotionen, sondern auch darum, gut mit negativen Gefühlen umgehen zu können. Vielleicht sei es an der Zeit, Länder nicht nur nach dem allgemeinen Glück einzustufen, sondern vielmehr danach, wie offen die Bevölkerung für die gesamte Bandbreite menschlicher Erfahrungen und eben auch Emotionen und mentalen Problemen ist.

Finnland und sein Glück – Der Glücksstatus

Seit dem 20.03.2024 steht Finnland wieder ganz oben auf der Glücksliste der Welt. Und seitdem passiert folgendes: Mal wieder gab es ein massives Teilen auf Social Media und sicher hatten die meisten Medien schon lange vor der Veröffentlichung des Berichts ihre Artikel vorbereitet, damit sie pünktlich rausgehen konnten. Es wird sich außerdem gegenseitig gratuliert und die Finnen werden wieder mal stolz auf sich und ihr Land sein, stolz sein in einer Gesellschaft glücklicher Menschen zu leben und einen Beitrag dazu leisten. Allen voran die Tourismusbüros der glücklicheren Länder. Und all das ist auch vollkommen ok und nachvollziehbar und vor allem der Stolz auch sicherlich ein Teil des „Glücksgeheimnisses“, zumindest für einen Teil der jeweiligen Bevölkerung.

In der Zwischenzeit sind allerdings viele Menschen erst einmal verwirrt, da sie an der Oberfläche wenig von diesem Glück der Finnen entdecken können. Man verbindet das Lan eher mit kalten Wochen, dunklen Tagen und wenig Emotionen. Man sagt ja auch, dass die Finnen ihre Emotionen und damit auch das Glück ganz tief in sich verborgen tragen. Andere rationalere Stimmen argumentieren, dass der Glücksindex nicht das Glück misst! Es misst vielmehr das Vertrauen, das wir in unsere Zukunft haben, und das Ausmaß, in dem wir uns Sorgen darüber machen, was darin passieren könnte oder nicht.

„Man schläft sicherer, wenn man sich nicht zu viele (negativen) Gedanken über die Zukunft machen muss!“

Schatten über dem finnischem Glück

Abseits der ganzen Happiness-Dabatten wird das finnische Glücks allerdings von ein paar dunklen Wolken verdeckt – vielleicht sogar dunkel genug, um den ein oder anderen doch recht großen Zweifel an der Glückssache aufkommen zu lassen und an der gesamten Erfolgsstory zweifeln zu lassen. Da ist die Menge an Antidepressiva, die in Finnland verwendet wird. Im Jahr 2019 erhielten mehr als 400.000 Menschen pro Jahr in Finnland eine Zuzahlung von der Sozialversicherung (Kela) für Antidepressiva. Etwa 50-70% der Konsumenten nehmen die Medikamente zur Behandlung von Depressionen ein. Damit ist Finnland aber nicht allein – Dänemark, Schweden, Norwegen und Island gehören zu den Top 10 der glücklichsten Länder der Welt aber eben auch zu den Top 10 der konsumstärksten Länder Europas, wenn es um Antidepressiva geht.

Solche Zahlen bilden die ideale Grundlage für etwas typisch finnisches: Schwarzen Humor: Sind die Pillen das Geheimnis unseres Glücks, oder hat uns zu viel Glück in Depressionen gestürzt?

Finnland und sein Glück Schattenseiten gehören dazu

Eine weitere dunkle Wolke, die die Sonne des finnischen Glücks bedeckt, ist die hohe Menge an arbeitsbedingten Burnouts in Finnland. Laut einer Umfrage zu den Arbeitsbedingungen, die 2021 von Statistics Finland durchgeführt wurde, verdoppelte sich die Angst vor Burnout zwischen 2017 und 2021. Etwa ein Viertel der Menschen im erwerbsfähigen Alter in Finnland leidet an „leichtem Burnout“ und 2-3% an einem schweren Burnout-Syndrom. Eine ähnliche Situation gibt es übrigens auch in Schweden. 

Emotionen als Knackpunkt der Finnen

Während Finnland also gut darin zu sein scheint, die durchschnittliche Lebenszufriedenheit hoch zu halten, erhalten diejenigen, die ein Depressionsrisiko oder andere mentale Probleme wie eben Burnouts haben, möglicherweise nicht genug soziale Unterstützung, um mit ihrer schlechten Stimmung der auch Krankheiten fertig zu werden. Vielleicht hat Finnland deshalb die höchste Anzahl an Heavy Metal Bands pro Kopf auf der Welt.

Natürlich könnte man hier auch argumentieren, dass weder Lebenszufriedenheit, positive Emotionen noch das Fehlen von Depressionen für das Glück ausreichen. Stattdessen ist etwas mehr erforderlich: Man muss sein Leben als sinnvoll sehen und auch erleben. Dazu haben Shigehiro Oishi von der University of Virginia und Ed Diener von der University of Illinois in Urbana-Champaign 132 verschiedene Länder verglichen. Bei der Frage, ob die Menschen das Gefühl hatten, ob ihr Leben einen wichtigen Zweck erfüllt oder eine wichtige Bedeutung hat, standen plötzlich afrikanische Länder wie Togo und der Senegal an der Spitze der Rangliste, während die USA und Finnland weit dahinter lagen. Hier könnte vielleicht auch Religiosität eine Rolle spielen: Die wohlhabenderen Länder neigen dazu, im Durchschnitt weniger religiös zu sein.

Der finnische Umgang mit positiven Emotionen

Finnen neigen dazu, positive Emotionen herunterzuspielen, was paradoxerweise ihre Zufriedenheit mit dem Leben erhöhen könnte

Glücklicherweise könnten die Finnen einen Vorteil in Bezug auf das Glück haben: Die finnische Tendenz, das eigene Glück herunterzuspielen, und die Zurückhaltung bei zu viel öffentlicher Freude könnte sie tatsächlich glücklicher machen. Dies liegt daran, dass der soziale Vergleich eine wichtige Rolle für die Lebenszufriedenheit der Menschen zu spielen scheint. Wenn es allen anderen besser geht als Ihnen, ist es schwer, mit Ihren Lebensbedingungen zufrieden zu sein, egal wie gut sie objektiv sind.

Ja, die Finnen spielen ihr Glück nicht nur runter, sie nehmen es und sich selbst auch gern auf die Schippe. Den bereits erwähnten schwarzen Humor immer am Start:

„Ich denke, wir sind das glücklichste Land der Welt, weil sich alle Depressiven bereits umgebracht haben.“

„Glück ist für einen Finnen relativ, je nachdem, wie viel du trinkst!“

Die Menschen verwenden Humor oft als Bewältigungsmechanismus, wenn die Dinge nicht gut laufen, weshalb im Übrigen auch viele berühmte Komiker an Depressionen leiden, einem Phänomen, das als „trauriges Clown-Paradoxon“ bekannt ist – eine widersprüchliche Assoziation zwischen Komödie und psychischen Störungen wie Depression und Angst. Ein enormer Mix an schwierigen Emotionen.

Mentale Herausforderungen im hohen Norden

Tatsächlich birgt Finnland aufgrund seiner geografischen Lage neben traumhafter Natur auch einige mentale Herausforderungen. Die wohl Sichtbarsten sind dabei die andauernde Helligkeit sowie Dunkelheit. Von Ende Mai bis Anfang August wird es im gesamten Land nie richtig dunkel. Im nördlichsten Gebiet Lapplands verschwindet die Sonne 71 Tage lang nicht hinter dem Horizont. Das nennt sich dann „Yötön yö“ – „nachtlose Nacht“. Dieses Phänomen der weißen Nächte kommt übrigens an allen Orten vor, die in etwa zwischen 60 Grad nördlicher oder südlicher Breite und dem jeweiligen Pol liegen.

Und als wäre die lange Helligkeit nicht schon fordernd genug, gibt es ein halbes Jahr später mit der Polarnacht, „Kaamos”, das düstere Pendant: Über eineinhalb Monate und dann höchsten sechs Stunden am Tag sehen die Finnen Tageslicht, in Lappland bekommen sie die Sonne überhaupt nicht zu Gesicht. Was bedeutet das aber für den natürlichen Rhythmus der Menschen vor Ort?

Unser Schlaf-Wach- bzw. Tag-Nacht-Rhythmus hat sich über Hunderttausende von Jahren hinweg entwickelt und wird vor allem durch Licht gesteuert. Mit einsetzender Dunkelheit erhöht der Körper die Produktion des schlaffördernden Hormons Melatonin, der gesamte Körper wird dadurch auf Nacht und Schlaf eingestimmt. Dieser natürliche Rhythmus des Körpers wird für die Finnen durch die äußeren Umstände allerdings circa vier Monate lang ausgehebelt und das jedes Jahr, ein Leben lang. Wer beispielweise schon einmal ein Baby in der Familie hatte, weiß vermutlich, wie zermürbend einige unruhige Nächte mit wenig Schlaf in Folge sein können. Schlafentzug wurde und wird vermutlich nach wie vor als Foltermethode eingesetzt. Das kann an der Psyche nagen und zu schweren Folgen führen. 

Ein nicht so schönes Rankingergebnis: Finnlands hohe Selbstmordrate – Ganz weit oben in Europa

Die langanhaltende Dunkelheit führt bei vielen Finnen zu starken Depressionen. Die erschreckenden Zahlen und Fakten dazu konntest du ja bereits weiter oben sehen. Wer in Finnland als Einwanderer glücklich werden will, sollte also ein übermäßig sonniges Gemüt mitbringen. 

Außerdem ist es eine Tatsache, dass Alkoholabhängigkeit besonders unter den männlichen Einwohnern Finnlands ein großes Problem und sogar die Todesursache Nummer eins ist. Auch die Selbstmordrate ist im europäischen Vergleich recht hoch, allerdings in den letzten Jahrensehr gesunken.

Für den Bezug zum Glücks-Ranking der Länder kann man also sagen: Wenn Glück die Prävalenz positiver Emotionen ist (geschweige denn ihre Darstellung)ist, ist Finnland nicht das glücklichste Land. Wenn Glück die Abwesenheit von Depressionen ist, ist Finnland nicht das glücklichste Land. Aber wenn es beim Glück um eine ruhige Zufriedenheit mit den Lebensbedingungen geht, dann ist Finnland zusammen mit anderen nordischen Ländern sehr wohl der beste Ort zum Leben.

FAZIT:

Du siehst also, auch Finnland hat seine „internen“ Probleme, die für mich auch ganz klar in ein Ranking wie das des Happiness-Reports integriert werden sollten. Aber ich bin mir sicher, dass dies auch nach und nach Platz in der Forschung findet und die Studien, Umfragen und damit auch die Ergebnisse ganzheitlicher werden.

All das soll aber das Land selbst nicht als abschreckend erscheinen lassen. Finnland ist toll und bietet viele Möglichkeiten ein nahezu sorgenfreies Leben zu führen.

Aber es gibt nunmal immer ein Hell und ein Dunkel, ein Schwarz und ein Weiß. Nichts ist PERFEKT und das muss es eben auch nicht sein. Vielleicht ist das auch die wichtigste Botschaft, die ich dir mit dieser Ausgabe mit auf den Weg geben möchte: Alles kann, nichts muss – es ist OK Fehler zu machen, sich schlecht zu fühlen und auch mal an seine Grenzen zu kommen. Und am Ende ist es einfach immer wiederso, dass wir selbst einen sehr großen Teil zu unserem Glück beitragen MÜSSEN. Wir alle haben bestimmte Voraussetzungen, sind aber am Ende die Regisseure unseres eigenen Lebensfilms – Egal wo auf der Welt!


Ausgabe 03/2023 Toxische Positivität

Toxische Positivität

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